Leher Briet
Wann beginnt die Erinnerung? Es ist schwer zu sagen. Kleine Szenen tauchen auf, wechseln sich mit Lücken ab, werden erst später ein Ganzes. 1948 Am Abend eines grauen Novembertages kam ich im Leher Krankenhaus in Bremerhaven zur Welt. Schon war ich ein Leher Briet. So durften sich nur gebürtige Leher nennen.
Wir waren eine typische Nachkriegsfamilie. Als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft kam bezog er ein möbliertes Zimmer bei einem kinderlosen Ehepaar. Die Männer verband eine ähnliche Vergangenheit, beide waren vor dem Krieg zur See gefahren. Die Gefangen- schaft hatte meinen Vater sehr zermürbt. Als er 1947 meine Mutter kennen lernte, glaubte er nur noch sechs Monate zu leben. Trotzdem heirateten sie und ich ließ nicht allzu lange auf mich warten. Für uns drei war es in dem möblierten Zimmer in der Potsdamer Straße 57 reichlich eng. Im Zimmer stand eine Kochplatte, das Bad durften wir mitbenutzen. Mein Vater hatte schnell bei den Amerikanern in der Roter-Sand-Kaserne (heute Hotel Havenhostel) als Heizer Arbeit gefunden. Es hieß aber auch für ihn, dass er häufig nachts arbeiten musste. Meine Mutter musste dann bei Wind und Wetter mit mir im Kinder- wagen unterwegs sein, damit mein Vater schlafen konnte.
Hafenstraße (17. Juli 1949)
1951 Meine Erinnerungen beginnen erst richtig mit diesem Jahr. Aus der Zeit davor sind es nur Fetzen, Augenblicke. Nun war ich schon so „groß“, dass ich im Innenhof der Wohnanlage allein spielen durfte. Insgeheim war ich natürlich unter Aufsicht meiner Mutter, unserer Vermieterin (meine Dritt-Oma) und anderer Nachbarn. Im Hof mit dem Waschhaus gab es neben den üblichen Teppichstangen, an denen die Teppiche ausgeklopft wurden, auch Bänke und Spielgeräte wie Schaukel, Rundlauf, Wippe. Ein Rundlauf war eine hohe Stange mit einer Strickleiter daran. An den Querstricken hielt man sich fest, rannte los und „flog“ so um die Stange herum.
25.08.1950 auf dem Jahrmarkt (heute heißt es Freimarkt)
Ab 1951 fuhren meine Großeltern oft mit mir mit dem Schreiberdampfer auf der Weser nach Brake. Sie hatten dort Gräber zu pflegen und nahmen mich gerne mit. Ich kann mich noch erinnern, wie sehr ich mich vor dem „Plumpsklo“ ekelte. Auf die Beschreibung möchte ich allerdings verzichten.
1952 kam ich in den DRK-Kindergarten am Leher Altmarkt. Die wahrscheinlich kurze Zeit hat keine Erinnerungen hinterlassen. Sie kamen erst 1953 mit der Kindergartenzeit im Kindergarten in der Jacobistraße.
Potsdamer Straße 57 im Innenhof (03.10.1951)
Kindergarten Jacobistraße von hinten
Namenstafel im Kindergarten
Es begann ein abwechslungsreiches Leben für mich. Die „Tanten“ waren nett und ich hatte plötzlich viele Spielkameraden. Im Flur waren lange Bretter mit Garderobenhaken angebracht. Jedes Kind hatte über seinem Haken ein Bild, so fand man seinen Mantel schnell wieder. Mein Bild fand ich besonders schön. Es war ein Kalenderblatt, auf dem stand: „1. April“. Ich war sehr stolz, dass ich das schon „lesen“ konnte.
Im Aufenthaltsraum stand eine Rutschbahn aus Holz. Eines Tages, als wir gerade beim Mittagessen saßen, kam meine Mutter. Sie wollte mich auf der Rutsche fotografieren. Alle Kinder guckten und ich fand das gar nicht gut. Meine Mutter war öfters im Kindergarten und fotografierte.
Rutsche im Kindergarten
Bei gutem Wetter wurden im Garten Spiele gemacht. Dabei wurde viel gesungen. Kreistänze gefielen uns Mädchen besonders, da flogen die Zöpfe nur so durch die Gegend. Die Jungen maulten meistens, trotzdem mussten sie mitmachen. Die Tanten konnten ganz schön böse werden, wenn sie nicht wollten. Spielgeräte gab es auf dem Gelände des Kindergartens damals noch nicht. Ein Ball reichte zum Spielen aus. Für „drinnen“ gab es bunte, kleine Halbkugeln, mit denen man auf dem Tisch Muster legen konnte. Es gab Hammerspiele, die heute wieder in Mode gekommen sind. Dazu gehörten bunte Holzplättchen in geometrischen Formen mit einem Loch für den Nagel. Aus diesen Formen wurden dann Figuren auf eine Korkplatte gelegt und festgenagelt. Mikado und Domino waren ebenfalls beliebte Spiele. Die Kindergärtnerinnen mussten damals viel improvisieren, um uns zu beschäftigen. Nach dem Mittagessen war es Zeit für den Mittagschlaf. Dazu wurden Segeltuchpritschen, die in einem Teil des Raumes an der Wand gestapelt lagen, aufgestellt. Wir bekamen eine kratzige Wolldecke und sollten schlafen, während eine der „Tanten“ aufpasste. Reden war verboten. Aber was sollte man machen, wenn man nicht schlafen konnte? Meiner Pritschennachbarin fehlte ebenfalls das Schlaftalent. So wurden wir häufig beim Flüstern erwischt. Es war die einzige Situation, in der ich Ärger bekam. Vielleicht lag es an unseren beengten Wohnverhältnissen, dass ich nicht schlafen konnte. Einmal im Jahr veranstaltete der Kindergarten ein Kinderfest in Friedrichsruh in Langen. Damals gab es dort noch ein beliebtes Ausflugslokal. Man erreichte es mit der Straßenbahnlinie 2. Das Fest war immer besonders spannend und unsere Aufregung vorher entsprechend groß. Wir wurden verkleidet, haben Spiele gemacht und sogar kleine Szenen aufgeführt. Dafür wurde ich oft ausgewählt. Warum, weiß ich nicht. 1953 / 1954 gab es die zweite große Veränderung in meinem Leben, wir bekamen eine Wohnung in der Rickmersstraße 24. Natürlich nicht gleich für uns allein. Wir hatten das Schlafzimmer und durften die Küche mit benutzen. Außer uns wohnte dort noch ein Ehepaar mit ihrer Enkelin. Nach ein paar Monaten hatten wir dann die Wohnung im 3. Stock ganz für uns allein und ich bekam sogar ein eigenes Zimmer. Die Wohnung hatte kein Bad, nur eine Toilette. Sie war in den l-förmigen Balkon hinausgebaut und hatte den Zugang von der Küche. Gewaschen hat man sich in der Küche am „Gossenstein“. Es war ein schwarz-weiß gesprenkeltes Steinbecken, in das eine weiße Emaille-Schüssel gestellt wurde. Viele Haushaltgeräte (Eimer, Kannen usw.) waren damals aus diesem Material. Wenn die Emaille abplatzte, kam ein schwarzer Untergrund zum Vorschein. Dann sahen die Sachen natürlich nicht mehr gut aus. Deshalb war es sehr wichtig, vorsichtig damit umzugehen. Am Samstag wurde auch ich in der berühmten Zinkbadewanne „gebadet“. Im Winter war es auf der Toilette eisig kalt. Trotzdem fand ich es immer schön, wenn das winzige Fenster mit Eisblumen verschlossen war. Auf den Wänden saß eine dünne Eisschicht, in die konnte man mit dem Fingernagel Muster kratzen. Toilettenpapier gab es damals noch nicht (oder es war für uns zu teuer?), nur in Stücke geschnittene Zeitung. Das war natürlich nicht so angenehm. In der Küche hatten wir einen großen Herd mit Eisenringen. Mit dem Ofen wurde geheizt, die Wäsche und das Mittagessen darauf gekocht. Vom Balkon aus ging eine Ziehleine zum Nachbarhaus Nr. 22, einem Eckhaus. Die Leine wurde von den Mietern der betroffenen Wohnungen in beiden Häusern gleichzeitig benutzt, es gab aber darüber nie Streit. In diesem Nachbarhaus befand sich das Tapetengeschäft Burghardt. In unserem Haus war ein Fischgeschäft, „Schnau“ o.ä. hießen die Leute (später befand sich an der Stelle ein Uhrengeschäft). Im Laden standen viele Heringsfässer, dadurch roch es im Treppenhaus nicht gut. In den Keller führte eine offene Holztreppe. Sie war mir immer etwas unheimlich, man konnte sich dahinter leicht verbergen. Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass sie als Kind in ihrem Elternhaus in der Kaiserstraße (jetzt Alte Bürger) von einem Nachbarjungen immer erschreckt wurde, der sich unter der Treppe versteckte. Natürlich hatte ich von da an Angst in den Keller zu gehen.. Im Keller hatten wir unser Feuerholz, Brikett und Kohlen. Auf einem großen Klotz wurde das Holz gehackt. Ab und zu probierte ich es auch aus, es war mir natürlich verboten worden. Zum Glück hatte ich mich dabei nie verletzt, so wurde ich nicht erwischt. In den Kellerregalen standen unsere Weckgläser mit eingemachtem Obst und Gemüse. Inzwischen hatten wir auch einen Garten in der verlängerten Jahnstraße, den mein Vater neben der Arbeit bewirtschaftete. Unser Hof war leider kein Spielort. Ein Möbelspediteur hatte dort einen großen Schuppen für seinen Möbelwagen. Somit war der Hof tabu, nur die Parterrebewohner durften dort Wäsche aufhängen. Die Zufahrt zu unserem Hof war von der Potsdamer Straße aus. © Brigitte Bohnhorst-Simon www.brigitte-bohnhorst.de
Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe e.V. ‒ Verein Wohnungsvermarktungsnetzwerk
E-Mail: info@esglehe.de
Leher Briet
Wann beginnt die Erinnerung? Es ist schwer zu sagen. Kleine Szenen tauchen auf, wechseln sich mit Lücken ab, werden erst später ein Ganzes. 1948 Am Abend eines grauen Novembertages kam ich im Leher Krankenhaus in Bremerhaven zur Welt. Schon war ich ein Leher Briet. So durften sich nur gebürtige Leher nennen.
Wir waren eine typische Nachkriegsfamilie. Als mein Vater aus der Kriegsgefangen- schaft kam bezog er ein möbliertes Zimmer bei einem kinderlosen Ehepaar. Die Män- ner verband eine ähnliche Ver-gangenheit, beide waren vor dem Krieg zur See gefah- ren. Die Gefangenschaft hatte meinen Va- ter sehr zermürbt. Als er 1947 meine Mutter kennen lernte, glaubte er nur noch sechs Monate zu leben. Trotzdem heirateten sie und ich ließ nicht allzu lange auf mich war- ten. Für uns drei war es in dem möblierten Zim- mer in der Potsdamer Straße 57 reichlich eng. Im Zimmer stand eine Kochplatte, das Bad durften wir mitbenutzen. Mein Vater hatte schnell bei den Amerikanern in der Roter-Sand-Kaserne (heute Hotel Haven-
Hafenstraße (17. Juli 1949)
1951 Meine Erinnerungen beginnen erst richtig mit diesem Jahr. Aus der Zeit davor sind es nur Fetzen, Augenblicke. Nun war ich schon so „groß“, dass ich im Innenhof der Wohnanlage allein spielen durfte. Insge- heim war ich natürlich unter Aufsicht mei- ner Mutter, unserer Vermieterin (meine Dritt-Oma) und anderer Nachbarn. Im Hof mit dem Waschhaus gab es neben den üb- lichen Teppichstangen, an denen die Teppi- che ausgeklopft wurden, auch Bänke und Spielgeräte wie Schaukel, Rundlauf, Wip- pe. Ein Rundlauf war eine hohe Stange mit einer Strickleiter daran. An den Querstrick- en hielt man sich fest, rannte los und „flog“ so um die Stange herum.
25.08.1950 auf dem Jahrmarkt (heute heißt es Freimarkt)
Ab 1951 fuhren meine Großeltern oft mit mir mit dem Schreiberdampfer auf der We- ser nach Brake. Sie hatten dort Gräber zu pflegen und nahmen mich gerne mit. Ich kann mich noch erinnern, wie sehr ich mich vor dem „Plumpsklo“ ekelte. Auf die Be- schreibung möchte ich allerdings verzich- ten.
1952 kam ich in den DRK-Kindergarten am Leher Altmarkt. Die wahrscheinlich kurze Zeit hat keine Erinnerungen hinterlassen. Sie ka- men erst 1953 mit der Kindergartenzeit im Kindergarten in der Jacobistraße.
Kindergarten Jacobistraße von hinten
Namenstafel im Kindergarten
Es begann ein abwechslungsreiches Leben für mich. Die „Tanten“ waren nett und ich hatte plötzlich viele Spielkameraden. Im Flur waren lange Bretter mit Garderobenhaken angebracht. Jedes Kind hatte über seinem Haken ein Bild, so fand man seinen Mantel schnell wieder. Mein Bild fand ich besonders schön. Es war ein Kalenderblatt, auf dem stand: „1. April“. Ich war sehr stolz, dass ich das schon „lesen“ konnte.
Im Aufenthaltsraum stand eine Rutschbahn aus Holz. Eines Tages, als wir gerade beim Mittagessen saßen, kam meine Mutter. Sie wollte mich auf der Rutsche fotografieren. Alle Kinder guckten und ich fand das gar nicht gut. Meine Mutter war öfters im Kin- dergarten und fotografierte. Bei gutem Wetter wurden im Garten Spiele gemacht. Dabei wurde viel gesungen. Kreistänze gefielen uns Mädchen beson- ders, da flogen die Zöpfe nur so durch die Gegend.
Rutsche im Kindergarten
Die Jungen maulten meistens, trotzdem mussten sie mitmachen. Die Tanten konnten ganz schön böse werden, wenn sie nicht wollten. Spiel- geräte gab es auf dem Gelände des Kindergartens damals noch nicht. Ein Ball reichte zum Spielen aus. Für „drinnen“ gab es bunte, kleine Halbkugeln, mit denen man auf dem Tisch Muster legen konnte. Es gab Hammerspiele, die heute wieder in Mode gekommen sind. Dazu gehörten bunte Holzplättchen in geome- trischen Formen mit einem Loch für den Nagel. Aus diesen Formen wur- den dann Figuren auf eine Korkplatte gelegt und festgenagelt. Mikado und Domino waren ebenfalls beliebte Spiele. Die Kindergärtnerinnen mussten damals viel improvisieren, um uns zu beschäftigen. Nach dem Mittagessen war es Zeit für den Mittagschlaf. Dazu wurden Segeltuchpritschen, die in einem Teil des Raumes an der Wand gesta- pelt lagen, aufgestellt. Wir bekamen eine kratzige Wolldecke und sollten schlafen, während eine der „Tanten“ aufpasste. Reden war verboten. Aber was sollte man machen, wenn man nicht schlafen konnte? Meiner Pritschennachbarin fehlte ebenfalls das Schlaftalent. So wurden wir häufig beim Flüstern erwischt. Es war die einzige Situation, in der ich Ärger bekam. Vielleicht lag es an unseren beengten Wohnverhältnis- sen, dass ich nicht schlafen konnte. Einmal im Jahr veranstaltete der Kindergarten ein Kinderfest in Fried- richsruh in Langen. Damals gab es dort noch ein beliebtes Ausflugs- lokal. Man erreichte es mit der Straßenbahnlinie 2. Das Fest war immer besonders spannend und unsere Aufregung vorher entsprechend groß. Wir wurden verkleidet, haben Spiele gemacht und sogar kleine Szenen aufgeführt. Dafür wurde ich oft ausgewählt. Warum, weiß ich nicht. 1953 / 1954 gab es die zweite große Veränderung in meinem Leben, wir bekamen eine Wohnung in der Rickmersstraße 24. Natürlich nicht gleich für uns allein. Wir hatten das Schlafzimmer und durften die Küche mit benut- zen. Außer uns wohnte dort noch ein Ehepaar mit ihrer Enkelin. Nach ein paar Monaten hatten wir dann die Wohnung im 3. Stock ganz für uns allein und ich bekam sogar ein eigenes Zimmer. Die Wohnung hatte kein Bad, nur eine Toilette. Sie war in den l-förmi- gen Balkon hinausgebaut und hatte den Zugang von der Küche. Ge- waschen hat man sich in der Küche am „Gossenstein“. Es war ein schwarz-weiß gesprenkeltes Steinbecken, in das eine weiße Emaille- Schüssel gestellt wurde. Viele Haushaltgeräte (Eimer, Kannen usw.) waren damals aus diesem Material. Wenn die Emaille abplatzte, kam ein schwarzer Untergrund zum Vorschein. Dann sahen die Sachen na- türlich nicht mehr gut aus. Deshalb war es sehr wichtig, vorsichtig damit umzugehen. Am Samstag wurde auch ich in der berühmten Zinkbade- wanne „gebadet“. Im Winter war es auf der Toilette eisig kalt. Trotzdem fand ich es immer schön, wenn das winzige Fenster mit Eisblumen verschlossen war. Auf den Wänden saß eine dünne Eisschicht, in die konnte man mit dem Fingernagel Muster kratzen. Toilettenpapier gab es damals noch nicht (oder es war für uns zu teuer?), nur in Stücke geschnittene Zeitung. Das war natürlich nicht so angenehm. In der Küche hatten wir einen großen Herd mit Eisenringen. Mit dem Ofen wurde geheizt, die Wäsche und das Mittagessen darauf gekocht. Vom Balkon aus ging eine Ziehleine zum Nachbarhaus Nr. 22, einem Eckhaus. Die Leine wurde von den Mietern der betroffenen Wohnungen in beiden Häusern gleichzeitig benutzt, es gab aber darüber nie Streit. In diesem Nachbarhaus befand sich das Tapetengeschäft Burghardt. In unserem Haus war ein Fischgeschäft, „Schnau“ o.ä. hießen die Leute (später befand sich an der Stelle ein Uhrengeschäft). Im Laden standen viele Heringsfässer, dadurch roch es im Treppenhaus nicht gut. In den Keller führte eine offene Holztreppe. Sie war mir immer etwas unheim- lich, man konnte sich dahinter leicht verbergen. Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass sie als Kind in ihrem Elternhaus in der Kaiserstra- ße (jetzt Alte Bürger) von einem Nachbarjungen immer erschreckt wur- de, der sich unter der Treppe versteckte. Natürlich hatte ich von da an Angst in den Keller zu gehen.. Im Keller hatten wir unser Feuerholz, Brikett und Kohlen. Auf einem gro- ßen Klotz wurde das Holz gehackt. Ab und zu probierte ich es auch aus, es war mir natürlich verboten worden. Zum Glück hatte ich mich dabei nie verletzt, so wurde ich nicht erwischt. In den Kellerregalen standen unsere Weckgläser mit eingemachtem Obst und Gemüse. Inzwischen hatten wir auch einen Garten in der verlängerten Jahnstraße, den mein Vater neben der Arbeit bewirtschaftete. Unser Hof war leider kein Spielort. Ein Möbelspediteur hatte dort einen großen Schuppen für seinen Möbelwagen. Somit war der Hof tabu, nur die Parterrebewohner durften dort Wäsche aufhängen. Die Zufahrt zu unserem Hof war von der Potsdamer Straße aus. © Brigitte Bohnhorst-Simon www.brigitte-bohnhorst.de
Potsdamer Straße 57 im Innenhof (03.10.1951)
hostel) als Heizer Arbeit gefunden. Es hieß aber auch für ihn, dass er häufig nachts arbeiten musste. Meine Mutter musste dann bei Wind und Wetter mit mir im Kinderwagen unterwegs sein, damit mein Vater schla- fen konnte.
E-Mail: info@esglehe.de
Leher Briet
Wann beginnt die Erinnerung? Es ist schwer zu sagen. Kleine Szenen tauchen auf, wechseln sich mit Lücken ab, werden erst später ein Ganzes. 1948 Am Abend eines grauen Novembertages kam ich im Leher Krankenhaus in Bre- merhaven zur Welt. Schon war ich ein Leher Briet. So durften sich nur gebür- tige Leher nennen.
Wir waren eine typische Nachkriegsfami- lie. Als mein Vater aus der Kriegsgefan- genschaft kam bezog er ein möbliertes Zimmer bei einem kinderlosen Ehepaar. Die Männer verband eine ähnliche Ver- gangenheit, beide waren vor dem Krieg zur See gefahren. Die Gefangenschaft hatte meinen Vater sehr zermürbt. Als er 1947 meine Mutter kennen lernte, glaubte er nur noch sechs Monate zu leben. Trotzdem heirateten sie und ich ließ nicht allzu lange auf mich warten. Für uns drei war es in dem möblierten Zimmer in der Potsdamer Straße 57 reichlich eng. Im Zimmer stand eine Kochplatte, das Bad durften wir mitbe- nutzen. Mein Vater hatte schnell bei den Amerikanern in der Roter-Sand-Kaserne (heute Hotel Havenhostel) als Heizer Arbeit gefunden. Es hieß aber auch für ihn, dass er häufig nachts arbeiten musste. Meine Mutter musste dann bei Wind und Wetter mit mir im Kin- derwagen unterwegs sein, damit mein Vater schlafen konnte.
Hafenstraße (17. Juli 1949)
1951 Meine Erinnerungen beginnen erst rich- tig mit diesem Jahr. Aus der Zeit davor sind es nur Fetzen, Augenblicke. Nun war ich schon so „groß“, dass ich im In- nenhof der Wohnanlage allein spielen durfte. Insgeheim war ich natürlich unter Aufsicht meiner Mutter, unserer Vermie- terin (meine Dritt-Oma) und anderer Nachbarn. Im Hof mit dem Waschhaus gab es neben den üblichen Teppichstan- gen, an denen die Teppiche ausgeklopft wurden, auch Bänke und Spielgeräte wie Schaukel, Rundlauf, Wippe. Ein Rund- lauf war eine hohe Stange mit einer Strickleiter daran. An den Querstricken hielt man sich fest, rannte los und „flog“ so um die Stange herum.
25.08.1950 auf dem Jahrmarkt (heute heißt es Freimarkt)
Ab 1951 fuhren meine Großeltern oft mit mir mit dem Schreiberdampfer auf der Weser nach Brake. Sie hatten dort Grä- ber zu pflegen und nahmen mich gerne mit. Ich kann mich noch erinnern, wie sehr ich mich vor dem „Plumpsklo“ ekel- te. Auf die Beschreibung möchte ich al- lerdings verzichten.
1952 kam ich in den DRK-Kindergarten am Leher Altmarkt. Die wahrscheinlich kur- ze Zeit hat keine Erinnerungen hinterlas- sen. Sie kamen erst 1953 mit der Kinder- gartenzeit im Kindergarten in der Jacobi- straße.
Kindergarten Jacobistraße von hinten
Namenstafel im Kindergarten
Es begann ein abwechslungsreiches Leben für mich. Die „Tanten“ waren nett und ich hatte plötzlich viele Spielkamer- aden. Im Flur waren lange Bretter mit Garderobenhaken angebracht. Jedes Kind hatte über seinem Haken ein Bild, so fand man seinen Mantel schnell wie- der. Mein Bild fand ich besonders schön. Es war ein Kalenderblatt, auf dem stand: „1. April“. Ich war sehr stolz, dass ich das schon „lesen“ konnte.
Rutsche im Kindergarten
Im Aufenthaltsraum stand eine Rutsch- bahn aus Holz. Eines Tages, als wir ge- rade beim Mittagessen saßen, kam mei- ne Mutter. Sie wollte mich auf der Rut- sche fotografieren. Alle Kinder guckten und ich fand das gar nicht gut. Meine Mutter war öfters im Kindergarten und fotografierte. Bei gutem Wetter wurden im Garten Spiele gemacht. Dabei wurde viel gesun- gen. Kreistänze gefielen uns Mädchen besonders, da flogen die Zöpfe nur so durch die Gegend. Die Jungen maulten meistens, trotzdem mussten sie mitmachen. Die Tanten kon- nten ganz schön böse werden, wenn sie nicht wollten. Spielgeräte gab es auf dem Gelände des Kindergartens damals noch nicht. Ein Ball reichte zum Spielen aus. Für „drinnen“ gab es bunte, kleine Halb- kugeln, mit denen man auf dem Tisch Muster legen konnte. Es gab Hammer- spiele, die heute wieder in Mode gekom- men sind. Dazu gehörten bunte Holz- plättchen in geometrischen Formen mit einem Loch für den Nagel. Aus diesen Formen wurden dann Figuren auf eine Korkplatte gelegt und festgenagelt. Mika- do und Domino waren ebenfalls beliebte Spiele. Die Kindergärtnerinnen mussten damals viel improvisieren, um uns zu beschäftigen. Nach dem Mittagessen war es Zeit für den Mittagschlaf. Dazu wurden Segel- tuchpritschen, die in einem Teil des Rau- mes an der Wand gesta-pelt lagen, auf- gestellt. Wir bekamen eine kratzige Woll- decke und sollten schlafen, während eine der „Tanten“ aufpasste. Reden war verboten. Aber was sollte man machen, wenn man nicht schlafen konnte? Meiner Pritschennachbarin fehlte ebenfalls das Schlaftalent. So wurden wir häufig beim Flüstern erwischt. Es war die einzige Si- tuation, in der ich Ärger bekam. Viel- leicht lag es an unseren beengten Wohn- verhältnissen, dass ich nicht schlafen konnte. Einmal im Jahr veranstaltete der Kinder- garten ein Kinderfest in Friedrichsruh in Langen. Damals gab es dort noch ein beliebtes Ausflugslokal. Man erreichte es mit der Straßenbahnlinie 2. Das Fest war immer besonders spannend und unsere Aufregung vorher entsprechend groß. Wir wurden verkleidet, haben Spie- le gemacht und sogar kleine Szenen auf- geführt. Dafür wurde ich oft ausgewählt. Warum, weiß ich nicht. 1953 / 1954 gab es die zweite große Veränderung in meinem Leben, wir bekamen eine Woh- nung in der Rickmersstraße 24. Natürlich nicht gleich für uns allein. Wir hatten das Schlafzimmer und durften die Küche mit benutzen. Außer uns wohnte dort noch ein Ehepaar mit ihrer Enkelin. Nach ein paar Monaten hatten wir dann die Woh- nung im 3. Stock ganz für uns allein und ich bekam sogar ein eigenes Zimmer. Die Wohnung hatte kein Bad, nur eine Toilette. Sie war in den l-förmigen Balkon hinausgebaut und hatte den Zugang von der Küche. Gewaschen hat man sich in der Küche am „Gossenstein“. Es war ein schwarz-weiß gesprenkeltes Steinbeck- en, in das eine weiße Emaille-Schüssel gestellt wurde. Viele Haushaltgeräte (Eimer, Kannen usw.) waren damals aus diesem Material. Wenn die Emaille ab- platzte, kam ein schwarzer Untergrund zum Vorschein. Dann sahen die Sachen natürlich nicht mehr gut aus. Deshalb war es sehr wichtig, vorsichtig damit umzugehen. Am Samstag wurde auch ich in der berühmten Zinkbadewanne „gebadet“. Im Winter war es auf der Toilette eisig kalt. Trotzdem fand ich es immer schön, wenn das winzige Fenster mit Eisblumen verschlossen war. Auf den Wänden saß eine dünne Eisschicht, in die konnte man mit dem Fingernagel Muster kratzen. Toilettenpapier gab es damals noch nicht (oder es war für uns zu teuer?), nur in Stücke geschnittene Zeitung. Das war natürlich nicht so angenehm. In der Küche hatten wir einen großen Herd mit Eisenringen. Mit dem Ofen wur- de geheizt, die Wäsche und das Mittag- essen darauf gekocht. Vom Balkon aus ging eine Ziehleine zum Nachbarhaus Nr. 22, einem Eckhaus. Die Leine wurde von den Mietern der betroffenen Woh- nungen in beiden Häusern gleichzeitig benutzt, es gab aber darüber nie Streit. In diesem Nachbarhaus befand sich das Tapetengeschäft Burghardt. In unserem Haus war ein Fischgeschäft, „Schnau“ o.ä. hießen die Leute (später befand sich an der Stelle ein Uhrenge- schäft). Im Laden standen viele Herings- fässer, dadurch roch es im Treppenhaus nicht gut. In den Keller führte eine offene Holztreppe. Sie war mir immer etwas un- heimlich, man konnte sich dahinter leicht verbergen. Meine Mutter hatte mir ein- mal erzählt, dass sie als Kind in ihrem Elternhaus in der Kaiserstraße (jetzt Alte Bürger) von einem Nachbarjungen immer erschreckt wurde, der sich unter der Treppe versteckte. Natürlich hatte ich von da an Angst in den Keller zu gehen. Im Keller hatten wir unser Feuerholz, Brikett und Kohlen. Auf einem großen Klotz wurde das Holz gehackt. Ab und zu probierte ich es auch aus, es war mir natürlich verboten worden. Zum Glück hatte ich mich dabei nie verletzt, so wurde ich nicht erwischt. In den Kel- lerregalen standen unsere Weckgläser mit eingemachtem Obst und Gemüse. Inzwischen hatten wir auch einen Gar- ten in der verlängerten Jahnstraße, den mein Vater neben der Arbeit bewirtschaf- tete. Unser Hof war leider kein Spielort. Ein Möbelspediteur hatte dort einen großen Schuppen für seinen Möbelwagen. Somit war der Hof tabu, nur die Parterrebewoh- ner durften dort Wäsche aufhängen. Die Zufahrt zu unserem Hof war von der Potsdamer Straße aus. © Brigitte Bohnhorst-Simon www.brigitte-bohnhorst.de
Potsdamer Straße 57 im Innenhof (03.10.1951)
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