Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe e.V.
Das Goethe-Quartier - Leher Geschichten

Meine Wurzeln in Lehe: Der Laden in der Hafenstraße

In diesem Haus in der Hafenstraße, in dem sich heute ein Juweliergeschäft befindet, besaßen meine Großeltern früher ein Lebensmittel- und Feinkostgeschäft.

Die beiden Pfleiler in der Mitte des Erdgeschosses bildeten den Eingangsbereich. Links davon war ein Tabakwaren Laden, und rechts davon der Lebensmittelladen meiner Großeltern. In den Bereichen zwischen den Pfeilern und den Außenwänden befanden sich die Schaufenster.

Mein Großvater war so etwas wie ein Käse-Experte. Lange vor meiner Zeit, bis 1944, hieß sein Geschäft "Käse Börse". Ich kann mich noch an die großen Käselaibe erinnern, die er in seinen Lagerräumen reifen ließ. Vielleicht hat sich während dieser Zeit meine Vorliebe für Käse entwickelt.

Wenn ich mit meiner Mutter bei meinen Großeltern im Laden zu Besuch war, durfte ich ja nicht "betteln". Aber meine Großmutter und ich haben uns immer gut verstanden, wenn ich zu ihr sagte: "Guck mal Oma, wie schön der Käse da hinten lacht".


Mein Großvater ist in Hamburg aufgewachsen und meine Großmutter in Rhena (Mecklenburg). Mein Großvater hatte in Hamburg eine Ausbildung zum Lebensmittelkaufman absolviert. Nachdem meine Großmutter ihren Dienst als Haushaltshilfe in einem Hamburger Haushalt angetreten hatte, lernten meine Großeltern sich dort kennen. Sie hatten bereits eine kleine Tochter, als mein Großvater im Januar 1930 die Filiale "Käselager" seines Hamburger Arbeitgebers in Wesermünde (heute Bremerhaven) als Geschäftsführer übernahm.

Der neue Arbeitsplatz machte einen Umzug der Familie nach Wesermünde notwendig. Kurz darauf wurde meine Mutter geboren. Die Familie wohnte in einer kleinen Einzimmerwohnung hinter dem Laden.

Nach einiger Zeit musste der Hamburger Arbeitgeber meines Großvaters Konkurs anmelden. Meine Großeltern standen vor der Wahl, entweder das Geschäft ganz zu übernehmen, oder aber arbeitslos zu werden. Sie entschieden sich dafür, den Laden zu übernehmen.



Die erste Zeit der Selbstständigkeit war sehr schwer. Mein Großvater hatte so gut wie kein eigenes Kapital. Durch den Konkurs hatten seine Lieferanten, die ja bis dahin die Lieferanten des Hamburger Kaufmanns gewesen waren, noch Forderungen, die durch den Konkurs nicht beglichen worden waren. Zu seinem Glück besaß mein Großvater aufgrund der bisherigen Geschäftsbeziehungen das Vertrauen seiner Lieferanten. So erhielt er in der ersten Zeit die Ware auf Kredit. Die Kredite konnte er im Laufe der Zeit von seinen Gewinn abzahlen ...

Nachdem meine Großeltern schuldenfrei waren, ging es mit dem Geschäft aufwärts. Inzwischen hatte mein Großvater den Laden in "Käse-Börse" umbenannt.

Käse war seine große Leidenschaft. Hinter dem Haus gab es einen Schuppen, in dem mein Großvater große Gouda Käselaibe lagerte und reifen ließ. Diese mussten immer im richtigen Maße feucht gehalten und von Zeit zu Zeit gewendet werden. Nachgefragt wurde damals im Wesentlichen der "Mittelalte". Viele seiner Kunden verlangten aber auch nach dem "ganz Alten". Der heute in Massen abgepackt angebotene junge Gouda war zu der Zeit jedoch nicht gerade der Renner.

Zum Haus gehörte damals noch ein Anbau mit Wohnräumen im Erdgeschoss und in einem Obergeschoss. Darin hatte während der ersten Zeit, nachdem meine Großeltern nach Wesermünde gekommen waren, eine andere Familie gewohnt. Als diese Familie auszog konnten meine Großeltern mit ihren Kindern die Wohnung im Anbau beziehen.

Nachdem sie es im Laufe der Zeit mit harter Arbeit und viel Glück zu etwas Wohlstand gebracht hatten, sah es so aus, als finge jetzt eine glückliche und sorgenfreie Zeit für sie an ...



… Aber dann begann der Zweite Weltkrieg, und irgendwann wurde auch mein Großvater von der Reichswehr zum Kriegsdienst eingezogen.

Meine Großmutter stand jetzt mit ihren inzwischen drei Töchtern und dem Laden allein da. Sie musste das Geschäft führen, und gleichzeitig für ihre Mädchen da sein.


Bald kam der Krieg, den die Nazis hinaus in die Welt getragen hatten, zurück nach Deutschland. Im Jahre 1944 wurde auch die bis dahin weitgehend verschonte Stadt Wesermünde noch zum Zielgebiet der Angriffe der Allierten Bomberflotten. Dabei wurde der größte Teil des Stadtgebietes zerstört. Bei einem der Angriffe wurde der Anbau mit der Wohnung von einer Sprengbombe getroffen und stürzte ein. Das Haus mit dem Laden war jedoch nur leicht beschädigt worden.

Da vom Anbau mit der Wohnung nur noch ein Trümmerfeld übrig geblieben war, musste meine Großmutter mit zwei ihrer Kinder wieder in die kleine Wohnung hinter dem Laden zurückziehen. Meine Mutter absolvierte gerade ihr "Pflichtjahr" bei einem Bauern in Sievern, einem Dorf im Norden Bremerhavens. - Sie hat ihre Heimatstadt aus der Ferne brennen gesehen. Auch viele andere Städte im Deutschen Reich lagen in Trümmern. Die Infrastruktur und die Versorgung brachen immer mehr zusammen. Bald war es meiner Großmutter nicht mehr möglich, das Geschäft geöffnet zu halten.

Während der letzten Kriegsmonate und bis zur Rückkehr meines Großvaters nach dem Krieg hatte sie die Ladenräume an die Obst- und Gemüsehandlung "Dietzel" vermietet, die vorher ihr Geschäft im Nachbarhaus hatte, das bei dem Bombenangriff von einer Brandbombe getroffen und völlig zerstört worden war.

Nachdem der Krieg zu Ende und mein Großvater zurückgekehrt war, wurde der Laden als "Lebensmittel- und Delikatessengeschäft Robert Kalbreyer" wiedereröffnet.


Nach und nach ging es wieder aufwärts ...


Als ich noch ein Kind und die Hafenstraße noch eine lebendige Einkaufsstraße war, kamen die ersten, damals noch recht bescheiden bemessenen Supermärkte auf.

Aus den Gesprächen zwischen meinen Großeltern und den anderen Erwachsenen habe ich damals heraushören können, dass meine Großeltern sich deswegen große Sorgen um ihre Zukunft machten.

Und Ich bekam eine erste Ahnung davon, was "Verdrängungswettbewerb" bedeuten könnte ...


Obwohl in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zeit der "Tante Emma Läden" eigentlich schon lange vorbei war, hat mein Großvater aber noch bis zu seinem regulären Renteneintritt durchhalten können.

Nachdem meine Großeltern den Laden aufgegeben hatten, kauften sie sich eine kleine Eigentumswohnung in einem gerade fertiggestellten Hochhaus. Unten vor dem Haus gab es ein kleines Einkaufszentrum mit einer Supermarktfiliale von "Thams & Garfs".

Mein Großvater hatte zwar immer auf die Supermärkte geschimpft, konnte aber nicht "loslassen". So kam es, dass er später als Rentner noch einige Jahre in der Käseabteilung des Supermarkts arbeitete.

Nötig hätte er das nicht gehabt. Er war jedoch einfach zu sehr "mit Leib und Seele" Kaufmann, um einfach damit aufhören zu können.

Aber auch "Thams & Garfs" ist jetzt schon seit langer Zeit Geschichte ...


Hier sieht man den Laden meiner Großeltern, so wie ich ihn aus meiner Kindheit in Erinnerung habe. Hinter dem Tresen steht meine Großmutter und lächelt -
so, als wolle sie mich gerade fragen, ob ich den Käse lachen höre ...


Die beiden haben es nie leicht gehabt, Zwei Mal hatten sie sich mühsam von ganz unten aufrappeln müssen. Aber es waren Leute wie meine Großeltern mit ihren kleinen Lebensmittel-, Schlachter-, Gemüse- oder Bäckerei-Geschäften, die damals aus der Hafenstraße eine lebendige Einkaufsstraße gemacht hatten. Sie waren quasi das Herz der der Leher Geschäftsstraße und der angrenzenden Wohnviertel. In ihren Läden trafen sich die Leute aus der Nachbarschaft und aus den umliegenden Straßen und tauschten beim "Klönschnack" die neuesten Neuigkeiten aus. Zu einem "richtigen Einkauf" gehörte das damals ganz einfach noch dazu. Versuchen Sie heute einmal, mit der Kassiererin an der Kasse eines Supermarkts zu klönen. Die Schlange hinter Ihnen würde dem Gespräch wohl mit ziemlicher Sicherheit ein schnelles Ende bereiten!



© Jürgen Winkler



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