Das Goethe-Quartier - Leher Geschichten
Meine Wurzeln in Lehe: Das Haus des Mohren

Das Haus in der Hafenstraße im März 2009
Links vom Eingangsbereich dieses Hauses führte die Firma Erich Meyer über viele Jahre hinweg ein Haushaltsgeräte Fachgeschäft. Nachdem diese ihr Geschäft im Jahre 2009 aufgegeben hatte, standen die Ladenräume für einige Zeit leer.

Das Haus mit den neuen Schaufenstern
Im Frühjahr 2010 wurden neue, hohe Schaufenster eingebaut, die denen des benachbarten Ladens angepasst sind. Damit erhielt das Haus mit seiner Gründerzeitfassade im Bereich der oberen Stockwerke ein einheitliches Aussehen, so wie es zur Zeit seiner Erbauung einmal der Fall gewesen sein wird.
Nachdem die Verkleidung über den flachen Schaufenstern des ehemaligen Fachgeschäfts für Haushaltsgeräte entfernt worden war, auf der bis dahin das Firmenschild angebracht gewesen war, tauchten plötzlich Bilder aus meiner frühen Kindheit vor meinen Augen auf:
In diesem Haus wohnte einst der "Sarotti Mohr"!
Über den neu eingebauten Fenstern waren auf dem Putz der Hauswand noch die Spuren des Werbeschriftzugs des ehemaligen Schlaraffenlandes zu erkennen, in dem der kleine, ganz in Blau und Rot gekleidete dunkelhäutige Herr mit seinem großen Turban auf dem Kopf, der wehenden Jacke und seiner weiten Pluderhose vor langer Zeit residierte.
Ich kann mich daran erinnern, dass meine Mutter mit mir oft meine Großeltern besuchte und ihnen gelegentlich im Laden aushalf. Auf dem Weg zwischen unserer Wohnung in Hafenstraße und dem Laden meines Großvaters nördlich der Rickmersstraße sind wir jedes Mal an diesem Schokoladenparadies vorbeigekommen, dessen Schaufenster-Dekoration mich damals dermaßen beeindruckt haben muss, dass ich es nach all den Jahren wieder so klar vor Augen hatte.
Nach der Sanierung der Geschäftsräume der ehemaligen Firma Erich Meyer blickte man durch die neuen Schaufenster des Schokoladenparadieses aus meiner Kindheit bald in eine neue Buchhandlung mit dem Namen "Mausbuch". Schnell hatte sich die kleine Buchhandlung etabliert. Neben dem Buchhandel fanden dort immer wieder auch kulturelle Veranstaltungen, Autorenlesungen und Workshops statt.
Aber die Zeit der weltweiten Corona-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022, in denen unter anderem auch Buchhandlungen ihre Geschäfte über eine längere Zeit hinweg nicht öffnen durften, war letztlich auch am "Mausbuch" nicht spurlos vorbeigegangen. Im Januar 2023 musste die Buchhandlung schließen. Auf der Internetseite und einem Aushang im Schaufenster verabschiedeten sich die Buchhändler Nicole und Uwe Steffens mit den Worten: "Liebe Kundinnen und Kunden, wegen Geschäftsaufgabe bleibt die Buchhandlung geschlossen. Wir danken allen Kunden, die uns bis zum Schluss die Treue gehalten haben."
Sicher ist, dass auch der Sarotti Mohr nicht wieder in der Hafenstraße einziehen wird. Nachdem Sarotti 1989 von der Stollwerck GmbH übernommen worden war, verschwanden der Markenname Sarotti und der kleine dunkelhäutige Herr nach und nach weitgehend aus den Geschäften.
Im Laufe der Zeit änderte sich das gesellschaftliche Bewusstsein. Die Auseinandersetzung mit dem Rassismus ist weltweit leider auch heute noch notwendig. Ebenso wurde der Blick auf die Kolonialzeit kritischer, in der sich auch das Deutsche Reich Kolonien - unter anderem - auf dem afrikanischen Kontinent angeeignet und ausgebeutet hatte.
Der Maji-Maji-Aufstand (1905 bis 1907) im damaligen Deutsch-Ostafrika wurde durch eine Politik der verbrannten Erde niedergeschlagen. Dadurch kamen je nach Schätzungen 75.000 bis 300.000 Menschen ums Leben. Der von den deutschen Kolonialherren in Deutsch-Südwestafrika begangene Völkermord an den Herero und Nama ist der erste in der Geschichtsschreibung anerkannte Völkermord des 20. Jahrhunderts.
Aber nicht nur wegen des historisch belasteten "Mohren" in ihrem Logo bekam die Marke Sarotti ein Image-Problem: Dem American Jewish Committee zufolge hatte Sarotti während der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter beschäftigt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ein "Wilhelm Lohmann" Direktor und Geschäftsführer der Sarotti Schokoladenfabrik in Bonn. Erst 1960 wurde seine wahre Identität aufgedeckt: Unter dem Geburtsnamen seiner Frau (Lohmann) war Wilhelm Koppe nach dem Krieg untergetaucht. Während des Zweiten Weltkriegs war er als SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS und der Polizei für den Holocaust im westlichen Teil Polens mitverantwortlich.
Im Jahre 2002 wurde Stollwerck inklusive der Rechte an der Marke Sarotti von der weltweit tätigen Barry Callebaut AG mit Sitz in der Schweiz übernommen. Zwei Jahre nach der Übernahme von Sarotti ersetzte der neue Markeninhaber den "Sarotti Mohren" durch den Sarotti Magier, um die traditionellen "Sarotti-Produkte" in einem neuen, historisch unbelasteten Design auf den Markt bringen zu können.
Erfreulicherweise hat der Leerstand nach dem Auszug der Buchhandlung Mausbuch nicht lange angehalten. Am 4. April 2024 hat dort ein Fahrradhandel mit Reparaturservice sein Geschäft eröffnet.